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Review: SPINNE AM ABEND - "Arbeitstitel" (Album)




Poetischer Dark Punk aus Berlin



Dass wir es hier mit einem Projekt zu tun haben, dass wahrlich nicht darauf abzielt im unaufhörlich dahinplätschernden Mainstream-Strom mitzuschwimmen, ist schnell offensichtlich. Spinne am Abend ist vielmehr ein Projekt, das aus purer Leidenschaft zur Musik und aus einem großen Talent für textlich verankertes Gedankengut entstanden ist. Hinter dem Ein-Mann-Projekt steckt der Autor, Grafiker und Künstler Benjamin Schmidt, über den wir Dir in den letzten Wochen hier auf J.D.W.E. schon einiges verraten haben und der uns erst kürzlich mit seinem neuesten Roman "Mein Mann von unter der Brücke" mehr als nur unterhalten hat und uns auch im Interview viel Persönliches und Intimes (zum Beispiel über seinen "missglückten" Suizidversuch) verraten hat.


Doch heute widmen wir uns nicht seinem persönlichen Schicksal oder seinen literarischen Werken, sondern beschäftigen uns vielmehr genauer mit seinem Musikprojekt Spinne am Abend und seinem ersten Album, das den simplen und zugleich außergewöhnlichen Namen "Arbeitstitel" trägt und als CD, Vinyl sowie digital veröffentlicht wurde. Ich halte hier die CD-Version in Händen, zu deren Aufmachung man unbedingt noch ein paar Worte verlieren muss, denn selten hab ich ein so liebevoll und detailreich gestaltetes Album, wie dieses erhalten. Man hat bewusst auf unnötiges Plastik verzichtet, so erreicht einen die CD-Version in einem dünnen Papier-Schuber, welcher zusätzlich noch in eine selbstgenähte Stoff-Hülle gepackt wurde. Auf der toll gestalteten Stoff-Hülle ist nicht nur das Band-Logo als Patch aufgenäht, sondern auch ein Button integriert, der eine faszinierende Zeichnung von Franziska Appel zeigt, die auch auf der CD selbst zu finden ist. Eine Aufmachung, die auf jeden Fall schon mal positiv überzeugt, direkt ins Auge springt und sich perfekt in eine gute CD-Sammlung einreiht.


Doch was erwartet den Zuhörer musikalisch? Auf der CD-Version von "Arbeitstitel" werden insgesamt 14 Tracks präsentiert, also 13 reguläre Stücke plus einem Bonus-Track, den man auf der digitalen Bandcamp-Version nicht finden kann. Besonders spannend ist außerdem, dass man gleich bei sechs Liedern tolle Künstler mit ins Boot geholt hat, die stets ihre eigene Note zu bestimmten Songs beisteuern. Musikalisch wird es zweifellos abgefahren, extravagant und theatralisch. Die Genre-Schublade lässt sich hier keinesfalls einfach so öffnen und benennen, denn hier kommen jede Menge Spielarten zusammen und man spürt sofort, dass Herr Schmidt sowohl in der Punk- als auch in der Gothic-Szene seine Vorlieben hat. Das Album besticht durch Elemente aus verschiedenen Bereichen, wobei man das Genre des Goth bzw. Dark Punks als vorherrschend titulieren könnte, jedoch auch Elemente des Death Rocks und des Post Punks ihre Heimat hier finden. Es wird düster und durch die grandiosen Texte auch sehr tiefgehend. Der Sound ist rough und verzichtet auf eine professionelle Studio-Aufnahme, was vor allem den deutlich spürbaren Underground-Effekt noch mal unterstreicht und hervorhebt. Dieses Album ist kein Album für die Masse und darauf zielt man auch nicht ab. Dieses einzigartige Dark-Punk-Projekt aus Berlin ist vielmehr etwas für Liebhaber von außergewöhnlicher Underground-Musik, die man so zuvor sicher noch nicht vorgefunden hat und bei der die Theatralik, Dramatik und Verdrehtheit an vorderster Stelle stehen. Dabei wird es in vielen Momenten auch sehr gefühlsbetont oder viel mehr gefühlsbestimmt.


Das Album startet mit dem Lied "Der Außenseiter", bei dem Benjamin Schmidt von Brita Pogo-Mari von der Berliner Punk-Band Gruftschlampen unterstützt wird. Bei genau dieser Band ist Herr Schmidt auch als Gitarrist aktiv, was die Verbindung schnell erklärt. So wird also die Manege eröffnet und der Zuhörer mit Schmidts Sprechgesang begrüßt, der einem schon in den ersten Momenten Gänsehaut beschert. Erwähnenswert ist auf jeden Fall auch "Deplatziert", der Song zu dem erst kürzlich ein Video veröffentlicht wurde und bei dem Spinne am Abend von Franziska Appel und Hanna-Linn Hava begleitet wird. Besonders spannend und gesellschaftskritisch ist auch der dritte Song "Typisch männlich", der sämtliche Stereotype des männlichen Geschlechts in Beschuss nimmt. Dass Herr Schmidt viele bekannte Künstler in seinem Freundeskreis hat, zeigt auch der Song "Komparativ von allein", bei dem die Liste der beteiligten Kollaborateure extrem lang ist, denn hier ist nicht nur Mozart (Umbra et Imago) mit von der Partie, sondern auch Ingo Mutz, Michael Schweßinger, Dirk Bernemann und M. Kruppe haben ihr Gedankengut beigesteuert. Beim Song "Ostentative Trivialität" mischt Feline Lang (Feline & Strange) mit, um noch eine weitere spannende Zusammenarbeit zu erwähnen, was aber nicht die letzte in dieser langen Liste ist.


Dass es sich lohnt bei Spinne am Abend auf die Texte zu hören, zeigen auch Lieder wie das sehr punkige "Angst überall".

"Hast du Angst vor dem Recht, dass es dir jemand nimmt, vor der schützenden Hand, dass sie über dich bestimmt? "


Die Texte sind poetisch und dass Benjamin Schmidt mit Worten umgehen kann, hat er schon mit seinen Büchern mehrfach unter Beweis gestellt. Genauso berührend und bewegend ist "Vier Wände, Ende":

"Isolation, halt mich fest, gib mir Halt.

Schenk mir ein Heim, vielen Dank. Immer ist Winter und der Winter ist kalt Und jeder hier hält mich für krank."


Das Album lässt uns bewegt zurück mit diesen verstörend schönen Liedern, die sehr ans Herz gehen, wenn man sich auf sie einlässt. Spinne am Abend ist nicht was für Jedermann, es ist Musik voller authentischem Gefühl und Leidenschaft, die es auf jeden Fall verdient hat, dass man sich genauer mit ihr beschäftigt. Das Album ist kein Werk, das man einfach mal so im Hintergrund als Berieselung laufen lassen kann. Vielmehr soll man sich hier die Zeit nehmen, auf die Songtexte hören und das Gesagte tief in sich aufnehmen und wirken lassen, denn auch wir haben uns in so mancher Textpassage wiedergefunden... Anders, herausleuchtend, bewegend, schwermütig & beängstigend schön!

Wir sind gespannt, wie es hier weitergeht!


Review: Manuela Ausserhofer


HIER kommst Du zur kürzlich veröffentlichten Newsmeldung.

HIER kommst Du zum umfangreichen Interview, das wir mit Benjamin Schmidt geführt haben!

HIER kommst Du zur detaillierten Besprechung von Benjamins Roman "Mein Mann von unter der Brücke".


Label: Eigenproduktion

VÖ: 28.05.2021


Track-List:

  1. Der Außenseiter

  2. Hereinspaziert

  3. Typisch männlich

  4. Deplatziert

  5. Vier Wände, Ende

  6. Angst überall

  7. Ostentative Trivialität

  8. Komparativ von allein

  9. Einkaufen

  10. Der Junge und die Fledermaus

  11. So rar in mir Mensch

  12. Die Clownin

  13. Wieder gesund

  14. Spinne am Abend (bonus track)

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